Lamia Messari-Becker wird ,,Vordenkerin 2024“
8. Dezember 2023
Die Professorin Dr. Lamia Messari-Becker wird für ihr Engagement für Nachhaltigkeit und sozialverträglichen Klimaschutz im Bauwesen als Vordenkerin 2024 ausgezeichnet. Das Vordenker Forum ehrt seit 15 Jahren herausragende Persönlichkeiten, die maßgeblich an der Zukunft der Gesellschaft mitwirken. Ziel der Preisverleihung durch eine unabhängige Jury* ist es, dem gesellschaftlich wichtigen Thema „Mutiges Vordenken“ Aufmerksamkeit und Gewicht zu verleihen.
Die in Marokko geborene Vordenkerin 2024 ist Bauingenieurin und zeichnet sich durch einen einzigartigen Rundum-Blick auf die ökologischen, ökonomischen, sozialen und sozio-kulturellen Dimensionen des Bauwesens aus. Schon vor Jahren hat sie vor einer Energiewende gewarnt, die sich primär auf Strom konzentriert und die anderen Energieformen wie Wärme und Treibstoffe vernachlässigt. Immer wieder hat sie mit Vehemenz darauf aufmerksam gemacht, dass insbesondere die Fokussierung auf die Wärmeversorgung mit überwiegend elektrischer Energie ein Fehler ist. Die Debatte um das Gebäudeenergiegesetz, das 2024 in Kraft tritt, hat sie Jahre zuvor vorausgesehen. Im Jahr 2022 trat sie als Keynote-Speakerin auf dem ersten Klimafestival für die Bauwende in Düsseldorf auf.
Lamia Messari-Becker argumentiert, dass die Fokussierung auf Strom in allen Sektoren – Gebäude, Industrie und Verkehr – einen schweren Fehler darstelle. Derzeit liege der Anteil der erneuerbaren Energien beim Strom zwar bei 50 Prozent, während er bei Wärme nur 16 Prozent und beim Verkehr nur 7 Prozent ausmache. Allerdings macht Strom nur 20 Prozent des gesamten Energiebedarfs aus. Künftige Bedarfserhöhungen sind dabei noch gar nicht mitgerechnet. Auch wenn man den technischen Fortschritt und die damit verbundenen Effizienztechnologien einkalkuliert, würde es nicht gelingen, alle Sektoren ausschließlich auf Strom umzustellen. Das gälte umso mehr, wenn dieser Strom überwiegend aus Wind- und Solarenergie gewonnen wird, was ohne parallel wachsende Speicherkapazitäten und -infrastrukturen keine gesicherte Stromversorgung gewährleiste und damit die Versorgungssicherheit aller gefährdet würde. Für Lamia Messari-Becker ist es daher ein Gebot der ökologischen, ökonomischen und sozialen Verantwortung, die Energiewende zu diversifizieren, möglichst viele klimafreundliche Energiequellen zu nutzen und insbesondere auf eine grundlastfähige erneuerbare Wärmeversorgung, etwa durch Geothermie, zu setzen.
Frühzeitiger Eintritt für eine diversifizierte Energiewende
Lamia Messari-Becker widmet sich der Ressourcenfrage umfassend. So forderte sie schon lange einen grundsätzlich anderen Umgang mit allen Ressourcen, darunter Fläche, Rohstoffe und Energie. Sie adressiert seit vielen Jahren Sanierungsfragen im Bestand, etwa einen CO2-Emissionshandel auf dem Gebäudesektor, der lebenszyklusbasiert die ökologische und ökonomische Effizienz von Sanierungsmaßnahmen in den Blick nimmt. Zudem befasste sie sich beizeiten mit kommunalem Klimaschutz, Quartiersansätzen, Ressourcenausweisen von Gebäuden und kreislauffähigem Bauen und verlangte hierzu entsprechende politische Rahmenbedingungen. Sie tritt für eine sozial-ökologische Stadt- und Raumplanung, für eine Partnerschaft zwischen städtischen und ländlichen Räumen ein und fordert neben Klimaschutz- auch Klimaanpassungsmaßnahmen.
Lebenslauf der Vordenkerin 2024
Lamia Messari-Becker ist Diplom-Bauingenieurin und Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Universität Siegen. Sie wurde 1973 in Marokko geboren und kam 1992 zum Studieren nach Deutschland. 2001 schloss sie das Studium des Bauingenieurwesens an der TU Darmstadt mit dem Diplom ab. 2006 promovierte sie mit dem Thema “Konzept zur nachhaltigen CO2-Emissionsminderung bei Wohngebäuden im Bestand unter Einbeziehung von CO2-Zertifikaten”. Von 2009 bis 2013 war sie Leiterin in einem Planungsbüro und realisierte dort Projekte in Deutschland, Frankreich, Italien, Norwegen, Österreich, Marokko, der Schweiz und der Türkei. Lamia Messari-Becker war und ist Mitglied in zahlreichen Gremien, unter anderem von 2016 bis 2020 im Sachverständigenrat für Umweltfragen (Kabinett Merkel III) und von 2017 bis 2022 im Expertenkreis “Zukunft Bau” des Bundes (Kabinett Merkel III, Merkel IV und Scholz). Sie ist Sachverständige des Bundestages und seit 2020 Mitglied im Club of Rome International. Darüber hinaus ist sie seit 2022 Mitglied im Zukunftsrat Nachhaltige Entwicklung Rheinland-Pfalz und seit 2023 im Beirat des Progressiven Zentrums sowie der Bundesstiftungen Baukultur und Bauakademie. Lamia Messari-Becker engagiert sich für Diversität, Gleichberechtigung und Integration. Die zweifache Mutter ist Alumna des International Leadership Visitor Program der US-Regierung und Unterstützerin der Initiative “Gesichter der Demokratie”.
Frühere Preisträger
Vor Prof. Dr. Lamia Messari-Becker wurden der KI- und Robotik-Forscher Prof. Sebastian Thrun (2022), der Politologe Prof. Basam Tibi (2019), der Rat der Wirtschaftsweisen (2018), Dr. h.c. Frank-Jürgen Weise (2016), Dr. Nicola Leibinger-Kammüller (2015), Jean-Claude Juncker (2014), Prof. Paul Kirchhof (2011), Bischof Dr. Wolfgang Huber (2009) und Prof. Nobert Walter (2008) als Vordenker ausgezeichnet.
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