„Bestand muss sich wieder lohnen“
6. Mai 2023
Der zu Jahresbeginn gegründete Verband für Bauen im Bestand (BiB) will erreichen, dass Neubauten nicht länger profitabler sind als der Erhalt vorhandener Gebäude. Vorstandsmitglied Diana Anastasija Radke erläutert im Interview, wie nicht nur das Klima, sondern auch die Bauwirtschaft von der Bauwende profitieren kann.
Ihr Verband setzt sich dafür ein, vorhandene Immobilien für eine Umnutzung weiterzuentwickeln, statt sie abzureißen. Welche gesetzlichen Voraussetzungen braucht es dafür?
Radke: Wo sollen wir anfangen? Es gibt sowohl auf EU-, als auch auf Bundes- und auf Landesebene zahlreiche Gesetze, die verändert und angepasst werden müssen. Doch bis Gesetze geändert worden sind, ist das 1,5 Grad-Ziel leider Geschichte. Wir setzen uns also dafür ein, schneller um die bisherigen Vorgaben drum herum zu planen und aktiv zu werden. Es gibt bereits viele Entscheidungsträger:innen, die mit Praxisbespielen dafür sorgen, Beweise zu statuieren, die Ausreden schwermachen. Eigenverantwortung, Mut und der Dialog aller am Bau Beteiligten muss parallel zu rechtlichen Änderungen laufen. Reden und handeln – das brauchen wir und nicht reden, reden, reden und das Handeln in die Zukunft verlagern.
Die Deutsche Umwelthilfe hat ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, das zu dem Ergebnis gekommen ist: Eine Genehmigungspflicht für Gebäudeabrisse sei in den Landesbauordnungen juristisch umsetzbar. Kritiker sagen allerdings, es grenze an Enteignung, wenn Immobilienbesitzer nicht mehr selbst entscheiden könnten, was mit Ihrem Eigentum geschieht. Wie steht Ihr Verband dazu?
Radke: Gute Frage, die schon mal behandelt wurde. „Jeder Abriss bedarf einer Genehmigung unter der Maßgabe des Gemeinwohls, also der Prüfung der sozialen und ökologischen Umweltwirkungen“, fordert Alexander Stumm von der Initiative Abrissmoratorium. Mit Blick auf die Verantwortung, die die Baubranche trägt, ist das keine verwerfliche Forderung, über die diskutiert werden sollte. Unser Ansinnen ist es jedoch, den Weg für das Bauen im Bestand zu ebnen. Wir wollen erreichen, dass Bauen im Bestand priorisiert wird, weil es lukrativ ist. Wie? Durch gesenkte Risiken, indem wir Wissen teilen und akkumulieren. Aus wirtschaftlicher Sicht muss sich Bestand wieder lohnen. Risikoarm und gewinnfördernd sollte es sein. Nicht durch Verbote, sondern durch Ermöglichung! Letztlich ist es aber auch so: Eigentum verpflichtet und nachhaltig wirtschaften bedeutet konservativ wirtschaften.
Wenn weniger neu gebaut wird, und dafür mehr Gebäude erhalten bleiben, ginge das womöglich zu Lasten der Beton- und Stahlproduktion. Ein für die deutsche Wirtschaft wichtiger Industriezweig wäre massiv betroffen. Wie ließe sich das abfedern?
Radke: Wer Transformationsprozesse frühzeitig erkennt und einleitet, ist nicht negativ von einer sich verändernden Welt betroffen. Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit. Bauen im Bestand bedeutet nicht, dass weniger „am Bau“ zu tun ist. Die Transformation hin zu einer kreislauffähigen und nachhaltigen Bauwirtschaft hält viele Jobs bereit.
Inwiefern kann eine nachhaltige Nutzung des Bestandes wirtschaftlich so attraktiv sein, dass es sich für Unternehmen lohnt, dort zu investieren? Gibt es schon Beispiele?
Radke: Wenn das Risiko einpreist werden kann, dann ist Bestand nicht teurer. Unser Gründungsmitglied Greyfield plant als Projektentwickler ausschließlich im Bestand. So wird zum Beispiel aus einer Druckerei ein Innenstadt Logistikhub. Ein anderes erfolgreiches Beispiel ist der Co-Workingspace CRCLR Haus in Berlin, der in einer alten Fasslagerhalle entstand. Risikofelder transparent machen und Erfahrungen aufbereiten ist essentiell. Konkret kann das bedeuten, Gewerke in Einzelvergabe zu vergeben. Eine gute Koordination, die Stärkung der Projektbeteiligten durch Definition eines gemeinsamen Ziels helfen. Die wirkliche Verantwortungsübernahme und das Vertrauen in die Akteur:innen sollte endlich wieder zum Standard werden. Bestandsimmobilien können auch bei der Suche nach Nutzer:innen einen wirtschaftlichen Vorteil bringen, indem es attraktivere Flächen vorhält und die Identität des Standortes durch Baukultur stärkt Mitarbeiterbindung. Spannend ist auch, die Entwicklung der neuen Währung CO2 zu beobachten. Die Anforderungen, Emissionen einzusparen, zirkulär zu bauen und das Urban Mining-Potenzial der Immobilie zu kennen, steigen stark an.
Besteht hierzulande genügend fachliches Know-how, um das Bauen im Bestand unter ökologischen Gesichtspunkten weiter voranzutreiben?
Radke: Im Prinzip ja, aber…. Silodenken ist noch immer Gang und Gäbe. Wir wollen mit dem Verband die vorhandenen Fähigkeiten und das Wissen verknüpfen und für die gesamte Branche zugänglich machen. So kommen wir gemeinsam schnell ans Ziel, und das Ziel kann nur eine radikale Bauwende sein.
Die Fragen stellte Andrea Hackenberg.
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