Interview: Darum brauchen wir eine Bundesbaugesetz-Reform
7. März 2024
Von Natalie Schalk
Die Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung (DASL) berät das Bundesbauministerium zur großen Reform des Bundesbaugesetzes, die in diesem Jahr anstehen soll. Mario Tvrtkovic, Professor an der Hochschule Coburg und Präsidiumsmitglied der DASL, erklärt im Interview, warum diese Reform nötig ist und wie Städte sich an die Folgen der Klimakrise anpassen müssen.
Warum sind Städtebau und Landesplanung für die Zukunft entscheidend?
Prof. Mario Tvrtkovic: Als Gesellschaft nutzen wir das Land für Siedlungsgebiete und Verkehrsinfrastruktur, brauchen es aber auch, um die Ernährung sicherzustellen und für die Energieversorgung. Fotovoltaik, Windenergie: Alles hängt mit der Landnutzung zusammen. Hierbei verbrauchen wir zu viele Ressourcen, produzieren zu viele Schadstoffe und emittieren zu viel CO₂. Wir bringen durch unser Handeln das Klima und die Anzahl der Arten auf der Erde, die Biodiversität, sehr stark in Bedrängnis. Ein großer Verursacher dieser Probleme sind die Städte, denn hier leben viele Menschen und hier sind viele Prozesse und Strukturen angelegt. Gleichzeitig sind Städte von den Folgen stark betroffen, beispielsweise, wenn Wasser bei Starkregen nicht versickern kann. In Städten lässt sich aber auch viel erreichen: Prozesse und gesellschaftlicher Zusammenhalt können so organisiert werden, dass es nachhaltig und im Sinne von sozialem Ausgleich und Gemeinwohl funktioniert. Das müssen wir viel aktiver tun. Wir müssen Lösungen in Städtebau und Regionalentwicklung suchen.
Städtebau: „Die Entwicklung einer blaugrünen Stadt weniger ein technologisches Projekt als ein gesellschaftliches“
Was konkret muss sich ändern?
Es geht darum, die Lebensbedingungen in Städten und Kommunen zu verbessern und zum Beispiel an die Folgen der Klimakrise anzupassen. Stadträume brauchen mehr Wasser, mehr Bäume und Verschattung. Anders als viele glauben, ist die Entwicklung einer blaugrünen Stadt aber weniger ein technologisches Projekt als ein gesellschaftliches. Es ist wichtig, dass wir systemisch denken und über das Lokale hinaus. Bei Starkregen zum Beispiel lassen sich die Kreisläufe des Wassers über die weitere Region wieder ausgleichen. Da hilft Technologie natürlich. Gleichzeitig ist klar, dass wir den Anteil an Flächen, die versiegelt sind, reduzieren müssen. Und global müssen wir bei aktuell acht Milliarden Menschen auf der Erde aushandeln, wie alle einen ausreichenden und gerecht verteilten Zugang zu endlichen Ressourcen, nachhaltigen Verkehrsangeboten, Wohnraum oder Freizeit und Erholungsflächen erhalten.
Welche Rolle spielt die Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung?
Nur mit vorausschauendem, planerischen Handeln der Kommunen, Städte und der Bundesländer lässt sich die räumliche und bauliche Entwicklung so lenken, dass gesellschaftspolitische Wertvorstellungen über eine angemessene Lebensumwelt jetzt und für die kommenden Generationen umgesetzt werden. Städtebau und Landesplanung umfassen beispielsweise die Planung von Bodennutzung und Infrastrukturinvestitionen, die Gestaltung und baukulturelle Erhaltung und Entwicklung des Orts- und Landschaftsbildes. In der DASL haben sich Fachleute aus Städtebau und Landesplanung zusammengeschlossen, die besondere Leistungen in Forschung und praktischer Planung erbracht haben. Bei diesen Themen hat die Hochschule Coburg eine bedeutende Stellung, und bereits 2022 habe ich in Coburg den Hochschultag der DASL zum Thema „Transformative Kraft der Region“ organisiert. Das war das 100. Jubiläumsjahr der Akademie und aus diesem Anlass haben wir uns auch mit der Berliner Erklärung deutlich zu einer gesellschaftlichen Mitverantwortung von Städtebau und Landesplanung für die Zukunft der Städte und Regionen positioniert. Die Fachdisziplinen, die für die räumliche Entwicklung zuständig sind, tragen auch für die Transformation zur Nachhaltigkeit eine Verantwortung. Die DASL fördert diese Themen in Wissenschaft und Praxis und macht sie der Öffentlichkeit zugänglich.
Auf welche Weise?
Beispielsweise durch Aus- und Weiterbildung nach dem akademischen Abschluss. Auch Vorträge und wissenschaftliche Tagungen dienen dem Transfer. Und wir setzen uns dafür ein, institutionelle Strukturen zu verändern, Rechtsformen zu öffnen, Rechtsrahmen zu reformieren. Wir bringen uns auch bei einem neuen Landesentwicklungsplan für Bayern ein und wirken mit weiteren Verbänden und Institutionen beratend bei der dringend nötigen Novellierung des Bundesbaugesetzes, die dieses Jahr ansteht.
Desinformation: „Wir schaffen es nicht, ausreichend zu erklären, dass der Wandel hin zu nachhaltiger Entwicklung nicht negativ ist, kein Verlust. Es bedeutet einen Gewinn.“
Warum braucht das Bundesbaugesetz die Reform?
Das Baugesetzbuch stammt aus dem Jahr 1960 und wurde zwar immer wieder ergänzt, angepasst und nachgebessert, aber es wird den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht gerecht: Klima- und Umweltschutz zum Beispiel, Klimaanpassung, Ressourcenschutz, Flächensparen, Umbau des Bestands. Wenn wir die Lebensqualität der Menschen künftig erhalten und verbessern wollen, müssen wir handeln.
Ok, aber wo ist das Problem?
Wie wir produzieren, wohnen, uns bewegen und wie wir konsumieren: Das müssen wir grundlegend ändern. Wissenschaftlich ist klar, dass die Zeiträume für die Transformation zur Nachhaltigkeit eng sind. Das Problem ist: Gesamtgesellschaftlich und auch in der Wissenschaft schaffen wir es nicht, ausreichend zu erklären, dass der Wandel hin zu nachhaltiger Entwicklung nicht negativ ist, kein Verlust. Es bedeutet einen Gewinn. Trotzdem wird viel Negatives erzählt, denn es gibt viele, die von bestehenden Rahmenbedingungen wirtschaftlich und machtpolitisch profitieren. Die renommierte Harvard-Professorin Naomi Oreskes hat in ihrer Forschung zur Desinformation zum Beispiel belegt, dass die fossile Industrie auch nicht vor gezielter Irreführung der Öffentlichkeit zurückschreckt, um ihr Geschäftsmodel zu erhalten. Veränderungen bringen Unsicherheit mit sich. Deshalb ist uns als Akademie ein großes Anliegen – auch im Sinne der politischen Beratung – zu vermitteln, dass eine Transformation zur Nachhaltigkeit eine sozial gerechtere und lebenswertere Zukunft bedeutet. Es geht um ein besseres Leben für alle. Dabei ist klar, dass für sozialen Ausgleich gesorgt werden muss, dass die Steuerung von Transformationsprozessen am Gemeinwohl orientiert sein muss. Städte und die Kommunen, Stadtplanung an sich sind ja auch verantwortlich für die gute öffentliche Daseinsvorsorge. Im Fokus stehen Menschen mit ihren unterschiedlichen ökonomischen Möglichkeiten.
Bundesbaugesetz: „Eine Transformation zur Nachhaltigkeit bedeutet eine sozial gerechtere und lebenswertere Zukunft.“
Wie muss sich die Planung unserer Städte und Regionen verändern?
Wir müssen die Dinge auch gesamtökonomisch klar benennen. Nur wenn wir den gesamten Lebenszyklus beim Bau betrachten, also alle Kosten inklusive Abbau und Umweltkosten, Transport, Emissionen und Entsorgung, zeigt sich die Kosten-Wahrheit. Dann ist klar, dass die Zukunft des Bauens im Bestand liegt. Im Moment geben wir wirtschaftliche Fehlanreize, zum Beispiel für hohen Ressourcen- und Flächenverbrauch. Das muss sich ändern. Planung, Stadt, Mobilität, Landschaft, Freiraum: Alles hängt zusammen. Deshalb brauchen wir ein integratives, interdisziplinäres und transdisziplinäres Verständnis der Lebensumwelt, in dem die Menschen ein Teil des Ganzen sind und nicht außerhalb stehen. Das vermittle ich auch in unserem Studiengang Architektur an der Fakultät Design der Hochschule Coburg.
Prof. Mario Tvrtkovic forscht und lehrt an der Hochschule Coburg u.a. zu Transformation, nachhaltigem Städtebau und der Entwicklung von Stadt und Land. Ende 2023wurde er zum Wissenschaftlichen Sekretär und Präsidiumsmitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung (DASL) gewählt.
Das Interview wird mit freundlicher Genehmigung der Hochschule Coburg veröffentlicht.
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