Magnesium macht Lehm stabiler
8. Oktober 2023
Junge Forschende aus der Schweiz untersuchen das Potenzial von Lehm als Alternative zu Beton. Ziel ist es, ein umweltverträgliches Bindemittel zu finden, dass dem Baustoff verlässlich Stabilität verleiht. Magnesiumoxid scheint ein vielversprechender Kandidat zu sein.
Umweltschonend, überall verfügbar und wiederverwertbar: Lehm wird seit Jahrtausenden genutzt und zählt zu den ursprünglichsten Baumaterialien der Menschheit. Für Bauprojekte in der Gegenwart eignet er sich allerdings nur bedingt. Zum einen ist das Naturmaterial in seiner geologischen Zusammensetzung überall auf der Welt unterschiedlich, was die standardisierte Herstellung und Verwendung erschwert. Zum anderen wird dem Lehm derzeit herkömmlicher Zement zugefügt, damit ein stabiles und haltbares Baumaterial entsteht. Durch diese Zugabe rutscht der ökologische Fußabdruck des Lehms jedoch wieder in den roten Bereich.
Ellina Bernard, Forscherin bei der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) im schweizerischen Dübendorf, arbeitet deshalb daran, Standards für die Zusammensetzung und die mechanische Belastbarkeit von Lehm zu definieren. Gleichzeitig soll ein sauberes, alternatives Baumaterial für die industrielle Anwendung entwickelt werden. Für ihr Projekt „Deciphering the role of magnesium in earth materials for sustainable construction“ wird sie vom Schweizer Nationalfonds mit einem der begehrten «Ambizione»-Grants gefördert. Die Förderung wird an herausragende, junge Forschende mit einem eigenständigen Projekt vergeben, die ihre Doktorarbeit bereits abgeschlossen haben.
Möglich sind schon jetzt – neben einer Vielzahl von nicht-tragenden Konstruktionen – tragende Wände von Wohnhäusern aus Lehm. Dabei kann sogenannte gegossene Erde in einer Verschalung verwendet werden oder gepresster Lehm in Form von vorgefertigten Bausteinen. Und diese luftgetrockneten Lehmziegel haben eine entsprechend günstigere Energiebilanz als herkömmliche, gebrannte Backsteine. Im Gegensatz zu Zement, den chemische Bindungen zusammenhalten, gehen die feinen Tonmineralien im Lehm bei der Lufttrocknung physikalische Bindungen ein. Eine Stabilität wie die von Beton ist auf diese Weise nicht zu erreichen. Darum sucht Forscherin Ellina Bernard nach einem geeigneten stabilisierenden Bindemittel.
Unterstützung erhält sie hierbei vom Geologen Raphael Kuhn, der derzeit seine Dissertation über Lehm-Zusatzstoffe anfertigt. Ein vielversprechender Kandidat ist Magnesiumoxid. Bei entsprechend nachhaltiger Gewinnung hat es eine hervorragende Klimabilanz im Vergleich zu Calcium-haltigem Zement, dessen chemische Reaktion große Mengen an CO₂ freisetzt. Zudem verkürzt Magnesiumoxid die Trocknungszeit, wirkt durch die Bildung von Nanokristallen der Klumpenbildung im Lehm entgegen und greift dennoch nur gering in die vorteilhafte Mikro- und Nanostruktur der lehmigen Elementarteilchen ein.
In ersten Laborexperimenten erreicht das Team mit verschiedenen Lehm-Rezepturen bereits eine Druckfestigkeit von bis zu 15 Megapascal – ein Vielfaches von unbehandeltem Lehm. Zum Vergleich: Lehm mit Zementzusatz erreicht bis 20 Megapascal.
„Das ist aber erst der Anfang“, sagt Ellina Bernard. Da sie die Nachhaltigkeit von Baumaterialien ganzheitlich beurteilen möchte, müssen die Laborexperimente auch von Lebenszyklusanalysen begleitet werden, die Haltbarkeit, Rückbau und Wiederverwertung der Materialien erfassen.
In Deutschland wurde im April eine neue DIN-Norm eingeführt, die den Weg für die breite Verwendung von Lehmmauerwerk bei Gebäuden mit bis zu fünf Geschossen ebnen soll.
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