„Sprache prägt Raum“: Initiative wirbt für achtsame Architekturkommunikation
13. April 2023
Die Architekturkommunikatorinnen Dr. Tania Ost und Astrid Maria Rappel setzen sich mit ihrer Initiative „who made my space?“ dafür ein, Nachhaltigkeit in der Baubranche zu fördern. Im Mittelpunkt steht dabei die Idee einer fairen Architektur: Über verantwortungsbewusste Kommunikation soll die Wahrnehmung dafür geschärft werden, wie die Räume entstehen, in denen wir leben.
Eure Initiative gibt es seit September 2021. Wen genau wollt Ihr damit ansprechen?
Astrid Maria Rappel: Zuerst die Menschen, mit denen wir unseren Alltag teilen; aber im Grunde richten wir uns natürlich an all diejenigen, die mit dem Entwerfen, Entwickeln, Bauen, Kommunizieren, Nutzen und Pflegen von Räumen zu tun haben – und damit genau genommen an alle. Denn Architektur betrifft uns alle.
Tania Ost: Als Architekturkommunikatorinnen sehen wir die Chance, viele Multiplikator:innen – wie etwa Verbände, Kammern und andere Kreise – zu erreichen. Und darüber wiederum eine größere Zahl an Menschen anzusprechen. Nur so können wir die Zukunft gestalten. Gemeinsam und im Austausch.
Teilen, Vermitteln, Wahrnehmen in der Architektur sind die drei Kernthemen, die Euch beschäftigen. Wie ist da der bisherige Status quo, und wo wollt Ihr hin?
Astrid Maria Rappel: Wir sind dabei, uns – wie es ja auch die meisten unserer Kolleg:innen und Bekannten tun – Fragen zum Zustand unserer Gesellschaft zu stellen und uns zu überlegen, ob wir einen Beitrag, wenn auch noch so klein, zu seiner Verbesserung leisten können. Einige Themen sind endlich in den Fokus gerückt und erhalten mehr Aufmerksamkeit: Dazu gehören zum Beispiel Nachhaltigkeit und, um im Bauwesen zu bleiben, zirkuläres Bauen, aber auch soziale Themen wie Gleichberechtigung.
Tania Ost: Mit dem Thema „Vermitteln“ wollen wir ein Bewusstsein schaffen. Für Lebensräume. Für Zukunft. Dabei geht es um das Schärfen von Wahrnehmung für eine faire Architektur. Als Architekturkommunikatorinnen nutzen wir das Mittel der Kommunikation. #spreadtheword
Wieso braucht es eine „faire Architektur-Kommunikation“, und was kann diese im besten Fall erreichen?
Astrid Maria Rappel: Dazu müssen wir erst einmal definieren was „fair“ heißt. Für mich bedeutet es hauptsächlich: gerecht, niemandem zum Nachteil, keinem anderen Menschen und nicht der Natur.
Tania Ost: Das Wort „fair“ scheint mir facettenreich und ich verbinde es mit diesen Aspekten: ehrlich, gerecht, transparent, klar, gut, für ein gutes Leben, gleich, Gleichheit fördernd, das Leben aller Beteiligten gleichermaßen wertschätzend, uneitel, nicht geleitet von eigenen, insbesondere ökonomischen Interessen, hochwertig, von Dauer, ästhetisch, qualitativ hochwertig und entsprechend wertgeschätzt.
Astrid Maria Rappel: Aber reicht es aus, dass die Architekturkommunikation ehrlich und transparent ist, damit wir sie als „faire Architekturkommunikation“ bezeichnen können – oder ist es nicht komplexer und es muss auch die Architektur selbst „fair“ sein, damit es auch ihre Kommunikation sein kann? Also eine Architektur, die nicht nur vermeintlich CO2-arm und grün gewaschen ist.
Tania Ost: Architekturkommunikation kann bewirken, dass die Realität verzerrt wahrgenommen wird. Oder in sehr ausgewählten Ausschnitten. Oder sie trägt dazu bei, dass sich sukzessive die Realität dem Kommunizierten anpasst, im Guten wie im Schlechten.
Astrid Maria Rappel: Eine faire Architekturkommunikation kann die Architektur selbst noch nicht fair machen: Sie verlangt danach, Dinge nicht schön zu reden und eine ökologisch und sozial nachhaltige Architektur zu „verkaufen“, die es nicht oder nur im Ansatz gibt. Wir, die Kommunikator:innen, sollten uns also unserer Verantwortungsrolle bewusst sein und die Architektur und die daran Beteiligten genau in Augenschein nehmen. Und überprüfen, ob wir wirklich dahinterstehen können und wollen, was wir weitergeben; und zum anderen sollten wir uns selbst die Frage stellen, ob der Zweck unserer Kommunikation ein Mehrwert für viele ist – oder nur ein Schwimmen auf der Zeitgeistwelle und eine positiv besetzte Sichtbarkeit für uns.
Tania Ost: Eine faire Architekturkommunikation weiß um ihre Macht und geht damit verantwortungsvoll um: gerecht, sichtbar, transparent, uneitel.
Welche Möglichkeiten hat Sprache, um die Wahrnehmung von Architektur zu beeinflussen?
Tania Ost: Es geht um Sprache und Raum. Welche Sprache nutzen wir? Welcher bedienen wir uns und welche dient uns? Wir besitzen den Raum nicht, wir besetzen ihn (mit Zeichen), und damit stehen wir in der Verantwortung. Denn wir haben eine Gestaltungsaufgabe, –kraft und –macht: Als Kommunikator:innen schaffen wir Realitäten, schärfen wir Wahrnehmung von Raum. Mit dieser Macht stehen wir in der Verantwortung!
Kannst Du das konkretisieren?
Tania Ost: Wir dürfen nicht vergessen, dass wir – wenn wir es überhaupt bewusst tun – nur unseren unmittelbaren Raum direkt wahrnehmen. Die meisten Räume nehmen wir über Dritte wahr: Wir nehmen Architektur über verschiedenste Medien(-Kanäle) wahr. Ohne zu lügen, zeigen die Kanäle doch selten die ganze Wahrheit. Womit wir nicht gleich beim #greenwashing wären, aber vielleicht bei starker Lenkung auf die Schokoladenseiten einzelner Räume, um die Schattenseiten nicht thematisieren zu müssen. Jedes Bild zeigt immer nur einen Ausschnitt zu einem bestimmten (günstigen) Augenblick. Ein großes Thema – nicht nur für die Fotografie, sondern für nahezu alle Medien.
Wie kann ein fairer Sprachgebrauch dazu führen, dass Architektur nachhaltiger wird?
Tania Ost: Was Bilder vermögen, vermag Sprache ebenfalls. Und so wie wir lernen, Bilder zu lesen, verschieben sich die Bedeutungen der Worte über die Zeit: Sonst hieße „Ich habe eine Baustelle“ im übertragenen Sinne nicht: „Ich habe ein Problem, das mir eingebrockt wurde.“ Sondern vielmehr „Ich sehe da eine Gestaltungsaufgabe. Ich kann neuen Raum (auch im Bestand) schaffen.“ Damit verkenne oder spreche ich niemandem ab, dass sie vor großen Herausforderungen (jenseits des Bauwesens) stehen. Wir haben immer das Bezeichnete und das Bezeichnende. Also erstens die Baustelle und zweitens das Wort, das, wofür es ursprünglich steht, zunächst wertfrei, nämlich hier eine Bau-Stelle. Dann wird das Wort für etwas negativ Konnotiertes eingesetzt. Und plötzlich ist die erste Baustelle etwas Negatives. Das heißt, der neue Sprachgebrauch oder das Bezeichnende wirkt sich negativ auf das Bezeichnete aus. Genauso bereitet uns „sozialer Wohnungsbau“ Kopfzerbrechen, weil er kaum mehr – im ursprünglichen Sinne – sozial ist. Damit bringen wir in Deutschland möglichst billiges Bauen, frei von Werten in Verbindung.
Astrid Maria Rappel: In Frankreich hingegen – ein Land, mit dem wir beide eine enge Verbindung haben – sieht es zum Beispiel ein wenig anders aus: Abgesehen davon, dass der „soziale Wohnungsbau“ dort viel verbreiteter ist, verbinden wir mit ihm einen architektonischen Anspruch und das Bemühen um eine gewisse Hochwertigkeit.
Tania Ost: Es hängt alles miteinander zusammen: Die Sprache verändert unser Bild von Raum – im positivsten wie im ungünstigen Fall. Und vice-versa. Sprache prägt Raum und wertgeschätzter Raum kann zusammen mit bewusst eingesetzter, fairer Sprache möglicherweise – ich glaube fest daran – ein Umdenken auslösen. Und sich damit nachhaltig auf Architektur auswirken: Weil sie alle Menschen sichtbar macht. Insbesondere wenig beachtete Beteiligte. Seien es Menschen auf den Baustellen, die Großes bewirken, oder finanziell schlechter gestellte Menschen, die erst recht langlebige, qualitativ hochwertige Räume verdienen.
Ihr schreibt auf Eurer Website, dass Ihr Euch „entlang des gesamten Produktzyklus mehr Wertschätzung für alle am Prozess beteiligten Akteur:innen und Ressourcen“ wünscht. Warum ist das Eurer Meinung nach nötig?
Astrid Maria Rappel: Wir wollen, dass nicht nur das Endprodukt, die „fertige“ Architektur betrachtet wird – im besten Fall ihre Schönheit, ihr gutes Funktionieren, ihre gute Ökobilanz. Sondern, dass wir uns alle vor Augen führen, wie der Weg dorthin ausgesehen hat. Teil unseres Weges zu einer fairen Architektur sind die Projektentwicklung und die Bauphase.
Tania Ost: Vieles mag umweltschonend und gesund, aber noch lange nicht fair produziert worden sein. Das gilt für Nahrungsmittel, für Kleidungsstücke wie für den uns umgebenden Raum. Zum einen glauben wir, dass ein Umdenken stattfinden muss, hin zur Sichtbarkeit aller Beteiligten. Dort kann Wertschätzung anfangen. Manchmal leider erst, wenn es zu schlimmen Vorfällen kommt, die wir uns nicht wünschen können. Nach der Rana-Plaza-Katastrophe 2013 gründete Orsola de Castro die globale Bewegung ›Fashion Revolution‹ mit dem Hashtag #WhoMadeMyClothes, die sich für eine transparentere und nachhaltigere Modeindustrie einsetzt. Nach der Fairtrade Bio-Baumwolle, die von glücklichen Bauer:innen, Weber:innen und Näher:innen zur Jeans verarbeitet wurde, ist es an der Zeit, die nächste Schicht und Dimension anzugehen: Wer schafft meinen Raum? Der Kreis der Nachhaltigkeit schließt sich nur dann, wenn diese wesentliche soziale Komponente Beachtung findet. „who made my space?“ versteht sich insofern als Zitat.
Welchen Einfluss hat Architektur wirklich, wenn es darum geht, die Bauwende voranzutreiben?
Astrid Maria Rappel: Wir glauben, es fängt bei den Investor:innen, Projektentwickler:innen, den einzelnen Ländern, Städten und Kommunen an. Natürlich im Austausch mit den Planer:innen. Wir müssen uns fragen: Was ist da? Und was fehlt uns? Und den Fokus auf die Fülle lenken und damit – vielleicht – den Mangel auflösen. Vielleicht, indem wir das Teilen als Chance erkennen.
Tania Ost: Wir empfinden es so, dass die Bauwende nicht isoliert betrachtet werden darf. Wir auf dem Planeten stehen vor riesigen Herausforderungen. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht ist, dass das Bauen so einen großen Impact hat für unseren Lebensraum insgesamt – und um den geht es –, dass das Bauwesen vieles zum Positiven wenden kann. Dazu sind Hans Joachim Schellnhubers Vorträge eindeutig. Und sie machen Mut.
Astrid Maria Rappel studierte Architektur an der Sapienza Università di Roma und an der Technischen Universität Wien. Viele Jahre in Paris lebend, war sie für verschiedene Architekturbüros tätig – unter anderem für Dominique Perrault Architecture. Zudem unterrichtete sie Entwerfen an der École nationale supérieure d’architecture de Versailles. Seit vielen Jahren widmet sie sich hauptsächlich der Architekturvermittlung in Deutschland und Frankreich, derzeit vor allem für Dietrich I Untertrifaller Paris. Mit ihrem Unternehmen, ›a*k architektur*kultur‹, das sie mit Karine Leroy–Masson gegründet hat, beschäftigt sie sich unter anderem mit dem Thema der ›Dritten Orte‹: Orte, die einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten und möglichst vielen Menschen zugutekommen. Ihr besonderes Anliegen lässt sich mit Hans Jürgen Münks umweltethischen Imperativ zusammenfassen: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen die angemessene Lebensfähigkeit und Integrität der Menschheit und der nichtmenschlichen Natur nicht zerstören.“
Dr. Tania Ost studierte Architektur an der Technischen Universität Darmstadt und Kommunikationsdesign an der Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main. Sie promovierte über Langzeitprojekte in der Porträtfotografie, ebenfalls in Offenbach am Main. Ästhetik, Klarheit und Verantwortung sind ihr ein Leitmotiv. Stationen bei „Lederer Ragnarsdóttir Oei“ und „Integral Ruedi Baur“ prägten ihre Haltung weiter. Seit ihrer Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin wirkt die Gestalterin im Feld der Architekturkommunikation und Fotografie als Netzwerkerin und Vermittlerin. Heute verantwortet sie mitunter das Magazin ›&MICA‹ für das gleichnamige Architekturbüro. Dabei gilt ihr Interesse immer dem Erzählen – dem Nacheinander der Zeiten, Räume, Bilder, Zeilen, Punkte und Seiten. Menschen stehen nicht im Weg. Sondern im Mittelpunkt. Sie sind der Schlüssel: Sie erschließen. Mit ihren Lebenswegen – selbst auf Umwegen. Können wir im Austausch mit Ästhetik, Klarheit und Verantwortung den gemeinsamen wie individuellen Lebensraum der Zukunft gestalten und erzählen?
Die Fragen stellte Andrea Hackenberg