Von der Hauswand zur Brücke: Forschung zum zweiten Leben von Stahlbeton
15. November 2024
Was wäre, wenn jedes überholte Betonbauteil nicht entsorgt, sondern in Blöcke geschnitten und wiederverwendet werden würde? Diese Vision verfolgt das Forschungsprojekt RE:CRETE der Schweizer Hochschule École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EFPL). In den Hallen des Structural Xploration Labs (SXL) in Freiburg entstand ein Prototyp: eine Fußgängerbrücke, gebaut aus Stahlbetonblöcken eines renovierungsbedürftigen Gebäudes.
Die Herstellung von Beton belastet die Umwelt erheblich – fast ein Zehntel der menschengemachten Treibhausgasemissionen entstehen bei der Zementproduktion. Zugleich macht der Baustoff rund die Hälfte des Abbruchabfalls aus. Zwar wird Altbeton bereits zu Zuschlagstoffen für neue Betonmischungen zerkleinert, doch das verbraucht viel Energie. Die direkte Wiederverwendung von Betonteilen stößt in der Baubranche hingegen auf Vorbehalte. Diese möchte das Forschungsteam mit dem Projekt ausräumen.
Für den Brückenprototyp sägte ein Abbruchunternehmen Blöcke aus den Wänden eines kaum 10 Jahre alten Gebäudes und bohrte Löcher für die Spannkabel. Das EFPL-Team setzte 25 dieser etwa 20 Zentimeter dicken Blöcke auf einer provisorischen Holzkonstruktion zu einem 10 Meter langen Bogen zusammen. Mörtel gleicht dabei die leichten Maßunterschiede aus. „Bögen sind im Grunde die ideale Tragstruktur für die Wiederverwendung von Betonblöcken, da das Material nur Druckkräften ausgesetzt ist“, erklärt Projektinitiator Jan Brütting.
Das Vorgehen kehrt die übliche Entwurfspraxis um: Statt frischen Beton nach Bedarf zu gießen, orientiert sich die Gestaltung an der vorhandenen Bausubstanz. Zur Unterstützung entwickelte das SXL die Software Phoenix 3D, mit der wiederzuverwendende Bauteile automatisiert aus einem vorhandenen Bestand ausgewählt werden. Nach erfolgreichen Belastungsprüfungen wurde die Brücke über einen Fluss im Kanton Wallis installiert. Dort wird sie zwei Jahre lang dem Fußverkehr zur Verfügung stehen, während das Forschungsteam den Verwitterungsprozess überwacht.